Mastodon

„Medusa und Perseus“ von André Breinbauer

Medusa die Schlangenköpfige, Medusa die Mörderin, Medusa das Monster. Den Göttern sein Dank, dass der heldenhafte Perseus, Sohn des Zeus, die Welt von diesem Ungeheuer befreit hat. Das ist die weit verbreitete (und zutiefst misogyn-patriarchale) Darstellung des Mythos um die Gorgone Medusa, die eigentlich nur eine Nebenfigur ist in den Geschichten um den heldenhaften Halbgott Perseus. Dass Medusa von Poseidon vergewaltigt und – als wäre das nicht schlimm genug – ohne eigenes Zutun von der Göttin Athene verflucht wird, dass sie sich auf eine einsame Insel zurückzieht und trotzdem Mann um Mann kommt, um sie zu vernichten, dass sie das vielleicht alles gar nicht wollte – geschenkt.

André Breinbauer möchte in seinem Comic den Mythos radikal anders (siehe Rückseite) erzählen und eine feministische Perspektive einbringen. Ob ihm das gelingt?

Medusa und Perseus | Text und Zeichnungen: André Breinbauer
Verlag: Carlsen | Erschienen am: 31.05.2022 | Seiten: 288
Werbung: Rezensionsexemplar

Die alte Geschichte aus neuem Blickwinkel

Der Comic wartet mit einer ziemlichen Besonderheit auf: Er ist ein Wendecomic. Von der einen Seite aus ist Medusas Geschichte aus ihrem Blickwinkel nachvollziehbar. Umgedreht steht Perseus im Mittelpunkt. Die beiden Geschichten treffen sich in der Mitte – bei einer tragischen Szene.

Medusa wird dabei zum Opfer der Umstände. Sie ist nicht schuld an dem Leid, das ihr widerfährt. Sie ist auch unschuldig an dem Fluch, den Athene ihr aufbürdet und der ihre Haare zu Schlangen werden lässt. Zumindest ist sie in dem Moment handelnde Protagonistin, als sie sich für einen Ausweg aus ihrem Schicksal entscheidet.

Perseus ist noch ein Kind, der – ebenso wie Medusa – zu einem Spielball der Götter wird. Naiv lässt er sich lenken, obwohl er noch nicht mal wirklich einen Schwertstreich führen kann.

Das Grauen in Bildern

Ein paar kurze Worte zu den Bildern: Gezeichnet ist “Perseus und Medusa” schlicht und schön. Die getuschten Panels sind nicht so detailreich, dass sie überladen oder störend wirkend. Vielmehr macht das Ganze einen ziemlich runden Eindruck. Gerade wenn Breinbauer auf einzelnen Seiten aus der Panelstruktur ausbricht (z.B. als Athene verflucht wird), macht der Comic visuell echt Laune. Auch die Idee mit dem Wendecover und der Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln finde ich gelungen. Ich könnte also wirklich glücklich mit dem Cover sein, allerdings…

Schnipp Schnapp Kopf ab

Allerdings wurde mir hier im Vorfeld ein radikal feministischer Comic versprochen. Im Vorwort spricht Breinbauer gar von einer „entfesselten, gegen das Patriarchat aufbegehrenden Weiblichkeit, […] die zu ihrer eigenen Sprache findet.“ Sorry, aber das ist ein klarer Fall von “gut gemeint”.

Die Ansätze mögen stimmen: Die Geschichte wird auch aus Medusas Blickwinkel erzählt, Medusa erhält eine Stimme. Sie ist weniger Monster als Opfer, sie trifft zumindest in einem engeren Rahmen eigene Entscheidungen. Reicht mir das? Ganz klar Nein. Da hatte ich mir viel mehr erwartet. Breinbauer nimmt sich Freiheiten mit der Handlung (wo sind z.B. Medusas Schwestern Stheno und Euryale?), hat dann aber nicht den Mut, die Geschichte anders enden zu lassen? Der Kopf der Gorgone muss weiterhin ab? Medusas Selbstbestimmung besteht darin (falls ich da nicht zu viel hineininterpretiere), dass sie ihren Tod selbst wählt? Das soll diese “gegen das Patriarchat aufbegehrende Weiblichkeit” sein?

Wie es anders (und feministischer) geht, zeigt z.B. “Medusa“ von Jessie Burton. Unter anderem interpretiert das Buch Athenes “Fluch” als Schutzzauber, damit Medusa sich zukünftig gegen Übergriffe von Männern wehren kann.

Und war Perseus wirklich so ein strahlender Held? In “Pandora’s Jar” analysiert Natalie Haynes die überlieferten historischen Quellen und kommt zu dem Schluss, dass ein Mann, der die Hilfe mehrerer Gött*innen benötigt, um eine schlafende und wehrlose Frau zu köpfen, nicht unbedingt der tollste Hecht im Teich ist.

So bleibt mir nur als Fazit zum Comic zu sagen: Zu viel versprochen, zu wenig gehalten.

6 Kommentare zu „„Medusa und Perseus“ von André Breinbauer“

  1. Sehr gut geschriebene Rezension, kann dir in allen Punkten nur zustimmen! Ich finde das Vorwort und auch die Werbung des Comics versprechen mehr als uns Leser*innen geliefert wird.
    Finde ich echt schade, aber da waren die Erwartungen einfach zu hoch.
    Liebe Grüsse
    Julia

    1. Hey Julia,

      der Austausch mit dir vorab hat mir auch nochmal echt geholfen, zum Einen, um meine Kritik zu verschärfen und zum Anderen, weil mir so klar wurde, dass ich nicht allein mit dem Gefühl der Enttäuschung bin. Am Anfang war ich mir nicht so sicher, ob meine Gefühle zu dem Comic berechtigt sind.

      Liebe Grüße,
      Nico

  2. Mythen in Tüten

    Liebe Leute,

    ihr habt das Vorwort bzw den Klappentext falsch gelesen: es ist nicht Breinbauer, der sich im Vorwort auf eine “entfesselte, gegen das Patriachat aufbegehrende Weiblichkeit” bezieht, sondern ein Verweis auf Helene Cixous’ Essay “Das Lachen der Medusa”. Der Comic nimmt die Idee einer eigenständigen Stimme und Perspektive von Medusa auf, möchte aber Medusas grausames Schicksal so darstellen, wie es Ovid geschildert hat. Inklusive brutaler Vergewaltigung, Kriegern, die ihr nach dem Leben trachten und beinahe am schlimmsten: mangelnder Frauensolidarität durch Athenes Bestrafung. Dass Medusa angesichts dessen, dass jetzt schon ein Kind geschickt wird, um sie zu tlten, freiwillig den Kopf hinhält, zeigt, dass sie nicht nur eine starke, sondern den rachsüchtigen Göttern auch menschlich überlegene Frau ist. Zwar bleibt sie so in gewisser Hinsicht das Opfer, aber das zeigt umso deutlicher die wahnwitzigen Umstände einer patriachalen Gesellschaft, die sie in diese ausweglose Situation gedrängt hat. Insofern finde ich diese Variante, den Mythos zu erzählen, sehr gelungen.

    1. Lieber Mythen in Tüten,

      vielen Dank dir für deine Interpretation der Geschichte. Es freut mich, dass der Comic dir gefallen hat. Eine Rezension zu einem Comic ist immer etwas Persönliches. Dass ich mich durch die Handlung enttäuscht fühle und an den Comic höhere Erwartungen hatte, liegt aber nicht daran, dass ich das Vorwort „falsch gelesen“ habe. Sehr spannend, dass du anderen direkt einen Fehler unterstellst, wenn deren Meinung von deiner abweicht. Und vielen Dank für dein – ich vermute mal – mansplaining im Hinblick auf den Verweis zu Hélène Cixous. Ohne dich hätte ich das alles nicht verstanden.

      Grüße,
      Nico

      1. Mythen in Tüten

        Liebe(?) Nico,

        mit dem Mansplaining liegst du falsch, ich bin eine Frau. Ansonsten hast du natürlich recht: jeder und jedem steht eine eigene Meinung und auch eigene Enttäuschung zu. Kleiner Hinweis noch bzw noch mehr Womansplaining: Klappentexte schreiben AutorInnen meist nicht selber, die werden für sie geschrieben.
        LG!
        Mythen in Tüten

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Scroll to Top