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“Die Tinktur des Todes” von Ambrose Parry

Ein Freier, der Gefühle für eine Prostituierte hegt. Ein Mord im Rotlichtmilieu, den niemand ernsthaft aufklären will. Ein Mann mit einem dunklen Geheimnis. Ein Hausmädchen, das sich zu Höherem berufen fühlt. Ein geheimer Kuss in einer engen Besenkammer. Puh, bei der “Tinktur des Todes” wurde offenbar extrem tief in die Klischee-Kiste gegriffen. Vermutlich ließen sich noch einige weitere finden. Das Klischee des noblen Butlers zum Beispiel. Oder das des armen jungen Mannes, der seine Herkunft und seinen niederen Stand verschweigt und unbedingt aufsteigen will.

Und noch etwas muss ich gleich zu Beginn relativieren: Die Aussage “So genial wie Sherlock Holmes“, die im Begleitschreiben zu dem Rezensionsexemplar steht, passt überhaupt nicht zum Buch. Wenn die Leser*in schon lange vor den Figuren weiß, wer der Mörder ist, sind die Charakter vielleicht vieles, aber nicht genial wie Sherlock Holmes.

Trotz alledem hat mir die Lektüre von “Die Tinktur des Todes” durchaus Spaß gemacht.

Die Tinktur des Todes | Autor*in: Ambrose Parry | Übersetzt von: Hannes Meyer
Verlag: Piper | Erschienen am: 31.08.2020 | Seiten: 464
Werbung: Rezensionsexemplar

Geburtshilfe in Edinburgh

Zwei Dinge haben mir besondere Freude bereitet. Zum Einen die detaillierten Beschreibungen der medizinischen Abläufe. “Die Tinktur des Todes” ist ein historischer Krimi, der im Jahr 1847 spielt. Die Geburtshilfe war damals – natürlich – auf einem ganz anderen Niveau als heute. Gerade kam ein neuer “Wunderstoff” namens Äther auf, der Patient*innen das Bewusstsein verlieren lässt und deshalb Eingriffe vereinfacht. Allerdings verursacht er auch Nebenwirkungen. Diese Einblick in den damaligen Stand der Medizin ist sicherlich gut recherchiert und sehr interessant.

Toll fand ich auch die Beschreibungen des historischen Edinburghs, dem Schauplatz des Geschehens. Ich war selbst schon zweimal da, Edinburgh ist eine tolle Stadt und die Lektüre lies immer wieder Erinnerungen hochkommen.

Eng hier

Unfreiwillig komisch sind dafür die Annäherungen der beiden Hauptfiguren: Dem angehenden Arzt Will Raven und dem Hausmädchen Sarah. Eigentlich können sich die zwei nicht leiden. Aber ganz zufällig finden sich die beiden immer wieder aneinandergepresst in engen Räumen und Gassen wieder, wo die Nähe und der Geruch des*der Anderen für die ein oder andere Gefühlsregung sorgen. Generell sorgten die Szenen, in denen sich die beiden näher kommen, bei mir für den ein oder anderen unfreiwilligen Lacher. Hier ein Beispiel, als Sarah Will nach einem heftigen Regenschauer das Hemd auszieht:

Ihre Hand streifte seine Brust, während sie ihm den nassen Stoff von der Haut löste. Sie spürte in sich etwas aufwallen, dessen Dringlichkeit sie verunsicherte. Als sie den letzten Knopf öffnete, spürte sie, wie sich in der Nähe ihrer Berührung etwas regte, und mit einer Verspätung verstand sie endlich, was gemeint war, wenn man sagte, jemand “steht unter dem Nabel stramm”.
Die Tinktur des Todes, S. 337

Puh. Die Abschnitte über Lust, Begierde und Sex fühlen sich im Buch alles andere als ungezwungen an. Wie es besser geht, macht zum Beispiel Tamsyn Muir vor.

Nebenbei. Der Autor*innenname “Ambrose Parry” ist ein gemeinsames Pseudonym für Autor Christopher Bookmyre und Medizinhistorikerin Marisa Haetzmann. Schade, dass sich die Zusammenarbeit nicht positiv auf die Liebesszenen ausgewirkt hat.

Insgesamt solide

Wer über die Klischees und die unfreiwillig komischen Szenen hinwegsehen kann, die erwartet mit “Die Tinktur des Todes” ein solider historischer Krimi mit vielen medizinischen Details. Nicht mehr und nicht weniger. Dafür gibt es von mir 3 von 5 Lesezeichen.

Andere Rezensionen

7 Kommentare zu „“Die Tinktur des Todes” von Ambrose Parry“

  1. Hallo Nico!
    Tatsächlich hab ich die Rezension von Janna ein wenig früher gelesen und mich direkt von ihrer Freude am Buch anstecken lassen. Deine doch etwas andere Meinung dämpft diese Freude nun doch ein kleeein wenig, zumal ich die Sache mit den Klischees durchaus verstehe. Aber gut, ich werd mir nun wohl doch ein eigenes Bild machen müssen =)

    Liebe Grüße!
    Gabriela

  2. Huhu!

    Nun hab ich Zeit auch bei dir vorbeizuschauen – bei mir verlinkt hab ich dic schon <3

    Und ja, genial wie Sherlock Holmes ist zu viel des Guten. So werden aber einige Titel beworben (also als Vergleich zu ähnlichen Geschichten und da bin ich grundlegend nicht angetan von, weckt unter Umständen falsche Erwartungen). Auch bei den Liebesszenen stimme ich dir zu, diese Annäherung hätte es grundlegend nicht gebraucht – weiblein und männlein können scheinbar nie die Finger voneinander lassen *Augenroll – war aber nur ein kleiner Aspekt für mich und somit glaube ich nur in einem Satz bei mir erwähnt. Denn ansonsten habe ich das Buch wirklich gern gelesen und besonders Sarahs Rolle mochte ich. Also wenn Band 2 übersetzt wird, greife ich bestimmt zu (=

    Mukkelige Grüße!

    PS: liebsten Dank für verlinken :-*

  3. Hi Nico!

    Oh, bisher hatte ich hauptsächlich sehr begeisterte Rezensionen dazu gesehen und das Cover sowie der Schauplatz hat natürlich sofort meine Neugierde geweckt! Aber was du da beschreibst und vor allem auch das Zitat … das hört sich nicht so an, als würde es mir gefallen muss ich gestehen. Das werde ich nochmal übedenken, ob es auf der Wunschliste bleibt ^^

    Vielen Dank für deinen Einblick!

    Liebste Grüße, Aleshanee

    1. Hi Aleshanee!

      Ich habe auch gute Meinungen zum Buch gelesen, unter anderem ist ja eine oben verlinkt. Es ist wie immer Geschmackssache =) Mir hat die Lektüre stellenweise auch Spaß gemacht, allerdings wirkte einiges zu konstruiert und zu klischeehaft für mich. Von den Liebesszenen will ich gar nicht erst anfangen =)
      Aber wer weiß, vielleicht kommst du ja dazu, dir deine eigene Meinung zu bilden?

      Liebe Grüße,
      Nico

  4. Pingback: „Der Hof der Wunder“ von Kester Grant - Im Buchwinkel

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